Auch die US-Amerikaner und die Iren werden die nächsten Jahre nicht umherum kommen, ihre Einstellung zum Auto und damit zu Carpool- und Ridesharing-System zu überdenken. Steigende Mobilitätskosten und voranschreitende Urbanisierung fordern ein Umdenken nicht nur in Deutschland.
Mehrere verschiedene Mitfahrsysteme wollen sich diesem Problem stellen und führen gerade erste Nutzertests auf der Strasse durch. Wie in Deutschland sind die Ideen der einzelnen Systeme weit gestreut und unterscheiden sich stark zueinander.
Avego.com
Avego.com geht einen ähnlichen Weg wie Car2Gether, flinc und Open-Ride. Fahrer und Mitfahrer können sich per Smartphone zusammenschliessen und so Geld und Benzin sparen. Im Gegensatz zu den drei erwähnten deutschen Echtzeit-Mitfahrsystemen trennt jedoch Avego Fahrer und Mitfahrer in unterschiedliche Gruppen und verändert damit auch die Zugänge zum System. Während der Fahrer ein „Fahrer-App“ benötigt, in welches er alle nötigen Informationen wie Route, Sitzplätze und sonstige Angaben eintippt, kann der Mitfahrer entweder eine iPhone-App oder auch jeden Smartphone- oder PC Browser verwenden, um sich als Mitfahrer für eine bestimmte Strecke anzumelden bzw. einzutragen. Im Gegensatz zu den deutschen Systemen wird hier stärker zwischen Anbieter und Nachfrager unterschieden. Vermutlich gehen die Macher davon aus, dass ein Grossteil der Nutzer sich Hauptsächlich für eine Seite interessiert. Wer kein Auto hat, wird vermutlich nie zum Fahrer und benötigt darum auch nicht das Fahrer-App. Wer auf der anderen Seite die Strecke mit dem Auto fährt, wird vermutlich nie Mitfahrer sein.
Interessant an dieser Lösung ist, dass der Nutzerkreis auf Seiten der Mitfahrer durch die Verwendung eines mobilen oder festen Browser deutlich erhöht wird. Da nur der Fahrer ein iPhone benötigt (vermutlich bald Windows Phone 7 – Android ist nicht in Planung), sind alle anderen Nutzer frei in ihrer Endgerätewahl. Wurde ein Mitfahrer durch den Fahrer akzeptiert, wird dieser per Push-Nachricht, SMS oder E-Mail benachrichtigt, sobald der Fahrer drei Minuten von seiner Position entfernt ist. Für die sicherer Identifizierung muss dann der Mitfahrer dem Fahrer nur noch einen 4stelligen Zahlencode sagen und schon wird der Mitfahrer im System eingebucht.
Als Fahrer können nicht nur die freien Plätze, sondern auch die Suchfilter wie z.B. nach Geschlecht und die gewünschte Qualität (Bewertung) der Mitfahrer eingestellt werden, sondern auch Fahrzeugtyp und Profilangaben zur Person.
[youtube UVV151apvww]
Als Fahrer erhält man durch eine ständige Verbindung zum Server eine Push-Meldung, falls sich ein Mitfahrer auf der Strecke befindet und mitgenommen werden will. Der Fahrer kann sich dann ganz einfach per Klick entscheiden, ob er den Mitfahrer mitnehmen will.
[youtube PgTNK85bG_k]
Ein erster Test findet im Moment (Ende 2010 / Anfang 2011) in Seattle statt. Fahrer und Mitfahrer welche oft den Highway 520 benutzen, können sich für den Test registrieren. Es ist wohl den amerikanischen Grössenverhältnissen geschuldet, dass der Test auf eine Strasse begrenzt ist. Allerdings hat sich gezeigt, dass dieser Highway von einem Grossteil der Microsoft Mitarbeiter (Firmensitz befindet sich in der Umgebung von Seattle) und den dortigen Studenten verwendet wird. Die Testerdichte ist auf diesem Highway somit überdurchschnittlich hoch.
UPDATE: Avego bietet dem Fahrer die Möglichkeit selber Zusteigepunkte auf seiner Strecke zu markieren. Dort können dann Mitfahrer zu- und aussteigen. Leider bedeutet dies, dass der Fahrer alle seine Strecken per Hand markieren bzw. definieren muss. Dies ist bei einer sehr oft befahrenen Strecke kein Problem. Bei einmaliger Nutzung der Strecke versagt, das System jedoch. Der Nutzer müsste sich bei einer Reise in eine fremde Stadt auf der Landkarte seine eigenen Stopppunkte suchen und markieren. Avego ist damit ganz klar auf den klassischen Berufspendler zurecht geschnitten.
PickRide.com
Pickride.com beinhaltet eigentlich alle gängigen Features und Einstellungen wie man sie von Echtzeit-Mitfahrgelegenheiten gewohnt ist. Durch das iPhone– oder Android-App lassen sich alle nötigen Einstellungen sowohl für den Fahrer wie auch den Mitfahrer vornehmen. Dazu gehören Profilangaben, Autodetails, freie Plätze und die bis jetzt zurückgelegten Fahrten mit Bewertung.
Vier merklich Unterschiede gibt es jedoch, welche dieses System gravierende von anderen unterscheidet.
Der wichtigste Punkt dürfte wohl die Gewichtsverlagerung auf den Fahrer sein. Während bei anderen System der Fahrer seine gewohnte Strecke fährt und sich Mitfahrer nur dann bewerben, wenn ihnen diese Strecke ebenfalls zusagt, kann ein eventueller Mitfahrer bei PickRide eine Fahrt einstellen, ohne dass es einen Fahrer für diese Strecke gibt. Potenzielle Fahrer können dann entscheiden ob sie den Mitfahrer mitnehmen wollen. Die Initiative und damit die Arbeit wird damit in Richtung Fahrer verschoben. Dieser muss sich die Mühe machen und einen Mitfahrer suchen. Auf der anderen Seite bestimmt nicht der Fahrer den Preise der Strecke, sondern der Mitfahrer bietet für eine Strecke einen gewissen Preis und bewirbt sich damit bei eventuellen Fahrern. Sind diese mit dem Preis einverstanden, kann die Reise losgehen. Die Idee das der Fahrer sich um einen Mitfahrer kümmern muss, ist auf den zweiten Blick gar nicht so schlecht. Geht man davon aus, dass der potenzielle Mitfahrer genug Alternativen wie Bus, U-Bahn, eigenes Auto oder Fahrrad zur Auswahl hat und es auch im Interesse des Fahrers liegt Geld zu sparen, ist diese Herangehensweise durchaus verständlich. Ein gravierender Nachteil ist jedoch, dass man als Mitfahrer seine Fahrgesuche der ganzen Community veröffentlicht. Potenzielle Fahrer können diese durchsuchen und dann entscheiden, ob sie vielleicht doch spontan in die Nachbarstadt fahren, weil „zufällig“ die hübsche Nachbarstochter auch dort hin muss. Zwar lassen sich auch Filter nach Geschlecht einbauen, diese verringern aber natürlich die Chance gefunden zu werden.
Ein weiterer Punkt, welcher ebenfalls etwas kritische zu beurteilen ist, ist die „Carpool-Funktion“ oder „Community-Funktion“. Freunde, Nachbarn und Arbeitskollegen lassen wie bei Skype oder anderen Messengern als „Freunde“ hinzufügen. Loggen sich diese dann ein, erscheinen sie als „online“. Somit erfahren alle anderen „Freunde“ gleich, welcher der „Freunde“ das System nutzen will. Auch wenn sich die „Freunde“ gar nicht auf der Wunschstrecke befinden, werden hier sensible Informationen veröffentlicht, die vielleicht nicht jeder Nutzer über sich preisgeben will.
Last but not least gibt es auch die Möglichkeit Fracht als gesonderten Punkt in der jeweiligen App zu klassifizieren. Ein Transporteur kann angeben wieviel Platz er für eine Fracht hat und ein Mitfahrer/Auftraggeber kann eintragen wieviel Platz er benötigt.
Das System von PickRide ist durch seine Verlagerung auf dem Fahrer und die damit verbunden Möglichkeit sich als privater Taxifahrer oder Spediteur zu betätigen, deutlich mehr im Dienstleitungssektor einzuordnen als andere System. Zusätzlich versucht dieses System durch Einbindung von Freundschaftslisten eine Art Carpool-System für die Nachbarschaft aufzubauen, durch das sehr viele persönliche und vielleicht auch sensible Informationen der einzelnen Nutzer veröffentlicht werden. Zum anderen ist zu bedenken, dass gerade in Deutschland die gewinnorientierte Nutzung solche Mitfahrsysteme verboten ist, bzw. der Fahrer in diesem Fall ein Gewerbe mit allen nötigen Genehmigungen anmelden muss. Problematisch wird es natürlich auch dann, wenn man zwar keine anderen Personen transportiert, dafür aber Fracht mitnimmt. Da man oft nicht in ein Päckchen hineinschauen kann, können auch illegale Frachten eingetragen werden. Wird man als Fahrer dann kontrolliert, ist guter Rat teuer.
Ridekicks.com
Ridekicks.com ist eigentlich eine Idee wie Mitfahrgelegenheiten.de oder Mitfahrgemeinschaft.de und soll hier nur der Vollständigkeit halber aufgeführt werden. Fahrer wie Mitfahren können ihre Strecken in eine Datenbank eintragen, die dann wiederum von der „Gegenseite“ durchsucht werden kann. Zur bessere Promotion der eigenen Fahrten, kann auch eine Facebook-App verwendet werden, welches die eigenen Fahrten bei Facebook veröffentlicht. Wobei natürlich auch hier wieder zu bedenken ist, dass damit eine Art Bewegungsprofil auf dem Facebook-Account veröffentlicht wird.
Weiter Artikel und Quellen:
App ist nicht gleich App – Mitfahrgelegenheiten auf dem Smartphone im Vergleich
Avego – Ridesharing In The Palm Of Your Hand
Open-Ride – die browsergestützte Mitfahrzentrale für Smartphones
flinc-App goes online
Zweiter Account von Ralf Bachmann
–> Details: https://www.ralfbachmann.de/author/ralfbachmann/