… aber vermutlich auch der deutscheste aller Business-Titel ist?!
Heute ist es Zeit für einen kleinen provokativen Rant und etwas Öl ins “Social-Media-Feuer”. In letzter Zeit störe ich mich etwas an dem Begriff ‘Hidden Champion(s)’. Also dem “Ehrentitel”, welcher Unternehmen (natürlich inoffiziell) verliehen wird, wenn diese sehr erfolgreich auf ihrem Gebiet, aber in der Öffentlichkeit weitestgehend unbekannt sind.
Zuerst eine Bestandsaufnahme: Was sind ‘Hidden Champions’?
Wikipedia Definition:
Als heimliche Gewinner oder unbekannte Weltmarktführer (engl. Hidden Champions) werden relativ unbekannte größere Unternehmen […] bezeichnet, die in ihrer Branche Marktführer sind. In kleineren Geschäftsbereichen können auch Unternehmen mit weniger Mitarbeitern und Umsatz „Hidden Champions“ sein. […] Die Kriterien zur Klassifizierung eines Unternehmens als Hidden Champion definierte Simon [Hermann Simon; Anm. d Red.] wie folgt:
- Sie sind in ihrer Branche die Nummer 1, 2 oder 3 auf dem Weltmarkt, oder
- Nummer 1 auf ihrem Heimatkontinent.
- Der Jahresumsatz liegt in der Regel unter 3 Milliarden Euro.
- In der Öffentlichkeit sind sie kaum bekannt, da sie meist inhabergeführt, nicht börsennotiert sind und oft einen Nischenmarkt bedienen.
Für viele Unternehmen, gerade im B2B-Bereich, gilt der Ehrentitel “Hidden Champion” als absoluter Ritterschlag. Beinhaltet er doch zwei entscheidende Faktoren. Zum einen den wirtschaftlichen Erfolg. Zum anderen eine gewisse Art von Bescheidenheit, sich nicht in den medialen Vordergrund zu drängen, sondern dezent unter dem sprichwörtlichen Radar zu bleiben. Und gegen der ersten Faktor ist definitiv nichts einzuwenden. Über den zweiten Faktor sollten wir im 21. Jahrhundert jedoch auf mehreren Ebenen reden.
Der Faktor der “medialen Bescheidenheit” hat für mich in letzter Zeit den Beigeschmack einer “vorgetäuschten Bescheidenheit” erhalten. Eine Art typisch deutsche Tugend, seine Arbeit erfolgreich zu absolvieren, aber nicht darüber zu reden, geschweige denn damit anzugeben oder medial hausieren zu gehen. Wie wenn man nach langer Diät und vieler verlorener Pfunde eigentlich nur sehnsüchtig darauf wartet, dass dies jemandem auffällt. Man selber würde aber nie damit prahlen. Aber eigentlich will man, dass es jemandem auffällt – auch Männer, so ehrlich muss man dieser Stelle sein.
Dabei zeigt sich im “medialen” 21. Jahrhundert, dass diese Bescheidenheit sehr schnell pures Gift für Unternehmen bedeuten kann und nicht mehr zeitgemäß ist. Oder wie es Frank Dopheide ausdrückt:
Gift für (Thought) Leadership und Agenda Setting:
Zusehends – so meine These – wird die Kombination aus Erfolg und Bescheidenheit damit zum Problem für die Zukunft dieser Unternehmen. Wer nicht gefunden wird, findet nicht statt. Oder anders ausgedrückt: Wer nicht sichtbar ist, wer keine Bekanntheit und kein Vertrauen genießt, kann auch keine Leaderfunktion übernehmen und damit keine Themen in der Gesellschaft anstoßen (Stichwort: Agenda Setting). Die Menschen wünschen sich aber zunehmend Unternehmen und Marken, die gesellschaftlich relevant sind. Firmen also, die sich mit Diskussionen und ihren Wertevorstellungen in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen und für etwas stehen – siehe Nike. Für Unternehmen bares Geld. Denn laut einer Umfrage Ende 2017 sind 74% der Marken irrelevant und damit austauschbar.
Exkurs: Natürlich gibt es ebenso Manager, CEOs und auch Kunden, die genau das nicht wünschen. Ihrer Meinung nach, sollen Unternehmen Geld erwirtschaften und sich aus gesellschaftlichen Fragen heraushalten. Der finanzielle Auftrag und die Verantwortung gegenüber Geldgebern und Investoren steht an erster Stelle. So wie es Stephan Knieps in der Wirtschaftswoche klar ausgedrückt hat, als sich Siemens-Chef Joe Kaeser zu einem politischen Thema äusserte:
Manager verwalten Geld, das nicht ihnen gehört, und sind Angestellte von Aktionären. Diese müssten sie eigentlich erst um Erlaubnis fragen, ob sie sich zu solcherlei fremden Themen äußern dürfen. Was Kaeser macht, ist ein massiver Loyalitätsbruch an unserer freien wirtschaftlichen Verfasstheit. Er ist übergriffig in Bereichen, wo ihn niemand legalisiert hat, seine Stimme zu erheben.
Sicherlich kann man sich an dieser Stelle fragen, wieso z. B. ein Autozulieferer, der Autoteile wie Dichtungen und Bremsbeläge für Audi, BMW, Mercedes etc. herstellt und die nie ein Kunde je von außen zu sehen bekommt, in der Gesellschaft stehen und sichtbar sein muss? Zugegeben, niemand wird sich für einen Audi entscheiden, weil der Zulieferer der Dichtungsringe sich für Gleichberechtigung und Freiheit engagiert. Spätestens, wenn es aber um das Recruiting geht, wollen gerade junge Menschen wissen, für welche Werte ihr zukünftiger Arbeitgeber steht und eintritt. “Hidden Champion” bedeutet in diesem Fall dann eben auch “hidden” für High Potentials und Erfolg förderndes Agenda Setting. Stichwörter: PR & War for Talents!
EDIT: Handelsblatt – 88 Prozent der deutschen Manager finden, dass sich Geschäftsführer politisch positionieren sollten.
Gift für Marketing und Social Media:
Der Wunsch nach geringer Aufmerksamkeit hat dann – so meine weitere These – auch wiederum negativen Einfluss auf das Marketing(-Budget) und die Einstellung bzw. professionelle Nutzung von Social Media. Bereits 2017 schrieb Martin Limbeck “Keine Expertenpositionierung ohne Social Media”. Social Media (und natürlich andere moderne Online-Marketing-Kanäle) sind prädestiniert für die Positionierung als Experte und wie geschaffen dafür als Unternehmen eine (gesellschaftliche) Leaderposition einzunehmen und Themen anzustoßen. Siehe auch: Erfolgreiches Agenda Setting in Social Media
Leider scheint das bei vielen Unternehmen immer noch nicht angekommen zu sein. Gerade Social Media Manager sitzen oft noch zwischen den Stühlen und klagen darüber, dass ihre Profession im Unternehmen nicht erst genommen wird. Ein Teufelskreis!
Und eine Herausforderung, die seit Jahren existiert und kaum besser geworden ist. Zu sehr gilt Social Media immer noch als Spielzeug für Praktikanten.
Never change a running system?! Oder wie weit kann man auf einem sterbenden Pferd noch reiten?
Läuft doch! Könnte man sagen. Man ist ja bereits “Champion” in seiner Branche. Warum ein gut funktionierendes System ändern? Weil die Zeiten sich ändern – und zwar immer schneller. Inhabergeführte ‘Hidden Champions’ – und hier hänge ich mich weit aus dem Fenster – sind oft klassische Top-Down-Unternehmen. Ein “gedienter” Patriarch (ohne das an dieser Stelle negativ zu meinen), welcher das Unternehmen hochgezogen hat und vielleicht schon in zweiter oder dritter Generation erfolgreich führt, hat in den letzten Jahren alles/vieles richtig gemacht. Leider bleibt die Zeit nicht stehen. Neue Mitarbeitergenerationen, neue globale Herausforderungen und neue Kommunikationskanäle klopfen sprichwörtlich ans Firmentor.
Es gibt jedoch auch tolle Gegenbeispiele. Junge CEOs und junge Nachfolger in Familienunternehmen zeigen diese mediale Präsenz und nutzen die diversen Medien nicht für plumpe “Kauf-mich-Werbung”, sondern moderne, nachhaltige und gesellschaftlich relevante Kommunikation.
From a Brand to a Stand: Marken artikulieren politische Haltungen und Meinungen auch jenseits hintergründiger Lobbying-Interessen und werden so zu einem soziokulturellem Akteur, der nicht nur das nächste Quartal, sondern das nächste Vierteljahrhundert im Visier hat. JAN DIRK KEMMING auf https://blog.webershandwick.de/
Hidden Champions haben (früher) vieles richtig gemacht:
Sind jetzt Unternehmen, die als Hidden Champions gelt nun schlecht, faul, verlogen oder so etwas ähnliches? Absolut nicht!
Hidden Champions waren und sind aktuell – wenn man sich die Definition von oben nochmal genau ansieht – extrem erfolgreich. Es gehört viel dazu, unter den Top 3 der eigenen Branche zu landen und sogar Weltmarktführer auf dem eigenen Kontinent zu werden. Und auch wenn man nur Platz 4 oder 5 belegt, ist dies in vielen Bereichen bereits Weltklasse. Es geht darum, dass sich die Zeiten ändern. Regeln die früher galten, gelten heute immer weniger. Und auch wenn jede Branche ihre eigene Geschwindigkeit hat, hat sich der Wind bereits gedreht. Das muss jedem CEO und Firmeninhaber bewusst sein.
Keine falsche Illusion: Man redet auch über Hidden Champions:
Und eines muss ebenfalls klar sein. Durch Social Media und Arbeitgeberportale wie Kununu redet man auch heute bereits über die Hidden Champions. Der Vorhang ist bereits weggezogen und lässt das Licht herein scheinen. Jetzt gilt es als Unternehmen das Fenster aufzureisen und selbst zu entscheiden, was man den Nachbarn zeigen will ……
Finale These: Vielleicht sind die ‘Hidden Champions’ von heute die verschwundenen Unternehmen von morgen?
Content Marketing Manager
Generalist: Projektmanager mit Faible Content Marketing & Social Media, ausgebildeter Journalist & PR-Berater, Erfahrung in Unternehmenskommunikation, Digitalisierung und Collaboration-Tools.